Die Kunst besteht jetzt darin, eine Verbindung zu schaffen zwischen meiner kurzen Reise im April und dem, was zurzeit los ist. Ihr erinnert euch? Rückblende: Flugzeug startet, mir geht’s gut, Flugzeug fliegt, Flugzeug landet in Madrid. Jetzt begann das Abenteuer Camino schon ein wenig abenteuerlicher werden. Am/im Madrider Flughafen wollte ich nämlich die Nacht verbringen, der Weiterflug nach Pamplona war erst am nächsten Morgen. Das Flughafenareal ist riesig. Ich suchte zunächst mal nach einem Klo, das war relativ schnell zu finden. Bereits beim Betreten der sanitären Anlage überfiel mich ein heftiges Urlaubsgefühl. Echt, es roch nach Ferien! Bis ich beim Händewaschen dahinter kam, es roch einfach nach Chlor und Pool. Das Wasser war so stark gechlort, dass ein Befüllen meiner Wasserflasche nicht sinnvoll war. Ich suchte also nach etwas Trinkbarem. Es war kurz vor Mitternacht, die einzige Möglichkeit, noch irgendwo einzukaufen, war ein Automat von gewaltigen Ausmaßen. Wasser war aus, Orangensaft kostete 3 Euro fünfzig, Miniflasche. Ich überlegte, ob gechlortes Wasser schädlich war, vermutlich nicht. Es schmeckte bloß scheußlich.
Das dritte, was ich suchte, war die Raucherzone. Fehlanzeige, sowas gibt’s im Madrider Flughafen nicht. Ich musste also raus. Schön, dass ich jetzt schon Gelegenheit zum Wandern hatte, denn das Verlassen des Gebäudes bedeutete einen Fußmarsch von 20 Minuten.
So sah es vor dem Flughafen aus:
Dann folgte die Suche nach einem Schlafplatz. Ich fand schließlich eine freie Bank (wieder im Inneren des Flughafens), die hatte aber den Nachteil, dass sie aus drei einzelnen Sitzplätzen bestand. Die drei Plätze waren durch Armlehnen voneinander getrennt. Ganz, ganz dünne Menschen hätten sich auf der Bank ausstrecken können (unter den Armlehnen durch), ich nicht. Ich versuchte also, im Sitzen zu schlafen. Das ging nicht. Also verlagerte ich alles auf den Boden. Bequem geht anders! Es blieb die Angst vor nächtlichen Flughafenräubern, also band ich die ausgezogenen Stiefel am Rucksack fest, stopfte den Umhängebeutel mit Geld und Papieren und Weiterflugticket in die Hose und umklammerte den Rucksack. Ich lag auf einem schmalen Absatz, begrenzt von einer Glasplatte, und konnte auf der Seite liegend das darunter liegende Stockwerk sehen. Dort herrschte noch ein wenig Touristentreiben, das war nett anzuschauen. Ich zählte Touristen und schlief ein. Nach ungefähr einer Stunde wachte ich wieder auf und realisierte nicht sofort, dass zwischen dem Untergeschoss und mir eine Glasplatte war. Schreck! Ich wusste, eine einzige falsche Bewegung, und ich würde abstürzen. Gleichzeitig merkte ich, der Rucksack war weg, den hatte ich im Schlaf irgendwohin geschoben, jemand hatte ihn aufgehoben und auf die Bank gestellt. Nochmal gut gegangen! Im Wachwerden klärte sich allmählich alles auf, es war ja überhaupt nix passiert. Den Rest der Nacht verbrachte ich wieder auf der Bank sitzend.
Irgendwann war die Nacht vorbei, es wurde laut um mich herum und es roch von allen Seiten nach Kaffee. Und jetzt ist es nicht mehr weit bis zum Thema dieses Blogeintrags! Ich fand sehr schnell eine Cafeteria, auf der Theke lag etwas, was ich auf den ersten Blick für etwas hielt, was ich für mein Leben gern esse: Es sah aus wie eine Breze. War es aber nicht, denn – irgendwie logisch – in Madrid am Flughafen gab es keine Brezen, das Gebäck hatte nur eine ähnlich geschlungene Form. Es war in Wahrheit „Churros“, das ist ein in heißem Öl herausgebackener, ineinander verschlungener Teigstrang, wahnsinnig fett. Egal, ich hatte Hunger, ich kaufte eins und aß es und trank Kaffee dazu und träumte davon, dass ich unmittelbar nach dem Camino ja nach Deutschland in meine alte Heimat wollte und dort Brezen essen würde, bis ich platzte.
Aufmerksame Leser*innen werden sich jetzt fragen, warum ich zum Brezen essen nach DE muss, die gibt es in Wien doch auch. Ja, schon. Sie sehen aber nur so aus. Liebe Wiener Bäcker, wenn ihr das hier lest: Was ihr Breze nennt, das ist nicht wirklich eine Breze. Wenn es die Spanier nicht kennen und können, bin ich ja nachsichtig. Aber im Land der Mehlspeisen! Brot und Semmeln und Kipferl und Kuchen und Torten könnt ihr doch auch. Warum keine anständigen Brezen?
Wahrscheinlich wisst ihr gar nicht, was ich unter einer richtigen Breze verstehe. Und bevor jetzt ein Einwurf kommt: Ich habe euch (fast) alle ausprobiert, bei einem, einem einzigen! fand ich welche, die waren von der Konsistenz her genau richtig, aber es war kein Salz drauf. Salz gehört bei mir unbedingt dazu. Nachdem alle Wiener Brezen-Kauf-Versuche total unbefriedigend waren, stellte ich weitere Tests ein. Ich verlegte mich auf Salzstangerl, die besitzen eine völlig andere Form und haben nix mit Lauge zu tun, aber sie sind wenigstens salzig. Und mir bleibt das wunderbare Gefühl, wenn ich in die Heimat fahre: Bald gibt’s Brezen.
Wie soll sie also sein, die ideale Breze, die es weder in Wien noch in Madrid gibt?
Mit drei Worten: Frisch, resch, fesch.
Frisch heißt in erster Linie frisch gebacken, nicht älter als ein paar Stunden. Nach dem Backen müssen Brezen die Chance bekommen, richtig auszukühlen. Also bitte auf dem Backblech lassen, damit der Dampf abziehen kann, erst dann in den Verkaufskorb oder was auch immer geben, sonst werden sie unweigerlich matschig. Je besser sie sind, umso schneller verkaufen sie sich, es wird also in Bayern laufend nachgebacken. Undenkbar, dass man nachmittags eine kauft, die schon seit dem frühen Morgen im Regal rumgammelt.
Resch, das ist die große Kunst beim Brezenbacken. Schlägt man das Wort „resch“ nach, stößt man a) auch auf die Schreibweise „rösch“, findet man b) die Erläuterung, dass dieses Wort überwiegend in Bayern und Österreich verwendet wird und c) dass es eine Umschreibung für „knusprig“ sein soll. Naja, das stimmt nur bedingt. Resche Brezen haben knusprige Teile, aber nicht nur. Sehr wichtig ist der weiche Kern, der fast ein bisschen saftig schmecken soll. Eine richtig gute Breze braucht nämlich kein Beiwerk wie zum Beispiel Butter (obwohl sie natürlich mit Butter, mit Butter und Schnittlauch, mit Leberwurst oder mit Käse ebenfalls ganz hervorragend schmeckt). Niemals darf das Innere einer Breze zäh und fest sein, das macht das ganze Essvergnügen kaputt. Richtig knusprig sollen dagegen die beiden miteinander verschlungenen Knochen sein, knusprig, nicht hart! Diese Teile müssen leicht zu knacken sein, manche Brezenesser rupfen die zuerst heraus und verspeisen sie, dann kommt erst der Rest dran.
Fesch. Das ist vielleicht der schwierigste Teil, denn einerseits: Geschmack schlägt Optik. Andererseits: Wer will schon ein schiefes, total verbogenes Etwas, das nur entfernt an eine Breze erinnert? Also: Der dickere Teil darf ruhig ordentlich Fülle haben, dann müssen aber die beiden Endteile, die miteinander verschlungen werden, immer schmäler werden. Der Knoten in der Mitte, den die beiden Knochen miteinander bilden, muss sauber und ordentlich aussehen, er ist das Indiz dafür, dass die Breze mit Liebe gemacht ist. Die Backzeit muss stimmen – aber angepasst an den jeweiligen Geschmack des Brezenkäufers. Und das Salz auf der Breze – bitte nur auf der Oberseite! – soll mengenmäßig den Wünschen der Käuferschaft entsprechen. Gute Brezenbäckereien machen also nicht nur eine einzige, immer gleiche Version. Von wegen! Es muss helle, mittlere und dunkle geben. Mit viel und wenig und ohne Salz. In allen Kombinationen. Außerdem müssen sie wunderbar duften. So gut, dass man beim Vorbeigehen an einer offenen Bäckereitür nur noch eins will: Reingehen, Breze kaufen, essen. Dann passt’s.
Breze oder Brezel?
Stimmt alles, es geht sogar „die Brezen“ oder „die Bretzen“. Wer mir eine Freude machen will, spricht allerdings von der „Brez’g“. Das weckt Kindheitserinnerungen und ein bisschen Heimweh, denn schon meine Oma fragte, wenn sie Einkaufen ging: „Soll i no was mitbringen?“ – „JA, bringsch a Brez’g mit. Oder zwoi.“