so kam ich mir heute vor. Ich hatte noch einige Einkäufe zu erledigen. Es war nicht der Tag der entspannten Busfahrten. Auf der Hinfahrt musste sich jemand im Bus übergeben, ich war zum Glück etliche Meter entfernt. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass auf der Rückfahrt ICH diejenige sein würde, die ihrem Sitzplatznachbarn am liebsten vor die Füße gekotzt hätte.

Es waren nur ein paar Stationen. Ich stieg am Reumannplatz ein, der Bus war voll, und ich quetschte mich auf einen der letzten freien Sitzplätze. Sitzen im Bus – das macht man nicht unbedingt freiwillig oder weil man alt oder gebrechlich ist. Man setzt sich deshalb, damit man aus dem Weg ist. Der Sitzplatznachbar beanspruchte ungefähr anderthalb Sitze, weshalb ich schon versuchte, mich so dünn wie möglich zu machen. Er telefonierte lautstark. Das wenige, was ich verstand, wies darauf hin, dass es sich um einen Ureinwohner Wiens handelte. Außerdem verstand ich, dass er von einer Weihnachtsfeier kam und auf dem Weg zu einer anderen Weihnachtsfeier war. Echt, ich liebe diese Stadt und ich mag die Sprache. Der Wiener Dialekt in seiner tiefsten Ausprägung – und um eine solche handelte es sich hier – ist jedoch für Ausländerinnen wie mich nur schwer verständlich.

Als er fertig telefoniert hatte, rempelte er mich an. „Scheiß Stau heit!“ Noja, das musste man mir nicht sagen, das sah ich selbst. Er wollte wissen, wie weit ich fahre, ich murmelte irgendwas. Er stellte fest, dass ich von woanders her sein müsse, er tippte auf Kärnten. Keine Ahnung, warum und wieso. Die Antwort „Bayern“ veranlasste ihn dazu, eine Stadt in Bayern zu nennen, in der er jemanden kennt. Ob ich diese Stadt auch kennen würde? Meine Güte, ich wollte mich nicht unterhalten. Außerdem roch er heftig nach Weihnachtsfeier.

Jetzt stand der Bus, es ging weder vor noch zurück. Auch keine Haltestelle in Sicht, sonst wäre ich den restlichen Weg zu Fuß gegangen. Er wurde politisch. Innerhalb der nächsten Minuten erfuhr ich, dass hier alles beschissen ist, dass man nichts dagegen machen kann, naja, er wählt schon die Richtigen, da brauche ich ihm nichts zu erzählen (machte ich ja gar nicht), aber jetzt müsse sich wirklich mal was ändern, das sei ja nicht mehr zum Aushalten mit den ganzen Ausländern hier. Wie ich das denn sehen würde? „Anders.“ Zu mehr kam ich nicht. Er wurde jetzt deutlich. Ob ich denn wirklich keine Ahnung hätte.

Er, ja, er sei bestens informiert. Und er würde mir jetzt mal was ganz im Vertrauen sagen. So schlimm sei der Adolf gar nicht gewesen. Er habe unzählige Kriegsfilme gesehen und wirklich, er wüsste, was damals Sache war. Ungelogen. Der A., der habe nur einen Fehler gemacht, er hätte die Russen nicht angreifen dürfen. Ja, das sei wirklich nicht gut gewesen, aber alles andere, das habe schon seine Richtigkeit gehabt.

Mir wurde schlecht. Doch es kam noch schlimmer. Irgendwann fuhr der Bus weiter, der Sitzplatznachbar räsonierte immer heftiger über die Vergangenheit und bedauerte sehr, dass heute …

Am Matzleinsdorfer Platz leerte sich der Bus ziemlich, auf der anderen Seite des Ganges saß jemand und telefonierte. Auf türkisch. Für den Sitzplatznachbarn gab es jetzt kein Halten mehr. „Red deitsch, mia san in Österreich!“, brüllte er den jungen Türken an. Der Türke antwortete – in einem astreinen Deutsch, ich verstand jedes Wort.

Wie die Sache ausgegangen ist, weiß ich nicht, ich stieg an der nächsten Haltestelle aus. Ich bin selten sprachlos. Heute war ich es, ich wusste einfach nicht, wie ich mich verhalten und was ich sagen sollte. Innerlich natürlich schon, da muss ich nicht lange überlegen. Aber die Situation war für mich gleichzeitig so irre und so bedrohlich, dass ich raus musste.

Trotzdem. Ich will nicht schweigen. Ich bin hier, in Wien, in Österreich, Ausländerin. Klar, man sieht es mir nicht an, und man hört zwar, dass ich einen anderen Dialekt spreche, doch immerhin: deutsch. Aber ich bin Ausländerin. Der Typ, der neben mir saß, müsste vermutlich erstmal einen Sprachkurs besuchen, um verständlich sprechen zu können. Aus all seinen Äußerungen hörte ich blanken Hass heraus.

Diese Stadt, in der ich lebe, hat einen hohen Ausländeranteil. Allein das Haus, in dem ich wohne, beherbergt Menschen von überall her. Wir leben friedlich zusammen. Wir reden miteinander im Treppenhaus, im Notfall hilft man sich, man nimmt Pakete für den Nachbarn an. Ich wünsche mir, dass das so bleibt.

Heute habe ich gelesen, auch in Wien sei so ein PEGIDA-„Spaziergang“ geplant. Die österreichische! PEGIDA-Fanseite auf FB hat genau jetzt, um kurz nach 22:30 Uhr, über 4.400 Likes, und es werden beständig mehr. Das alles macht mir – nein, keine Angst. Es macht mir Mut. Mut, NEIN zu sagen.

An dieser Stelle grabe ich ein uraltes Lied von Konstantin Wecker aus.

SAGE NEIN!

Wenn sie jetzt ganz unverhohlen
Wieder Nazi-Lieder johlen,
Über Juden Witze machen,
Über Menschenrechte lachen,
Wenn sie dann in lauten Tönen
Saufend ihrer Dummheit frönen,
Denn am Deutschen hinterm Tresen
Muss nun mal die Welt genesen,
Dann steh auf und misch dich ein:
Sage nein!

Meistens rückt dann ein Herr Wichtig
Die Geschichte wieder richtig,
Faselt von der Auschwitzlüge,
Leider kennt man’s zur Genüge –
Mach dich stark und misch dich ein,
Zeig es diesem dummen Schwein:
Sage nein!

Ob als Penner oder Sänger,
Banker oder Müßiggänger,
Ob als Priester oder Lehrer,
Hausfrau oder Straßenkehrer,
Ob du sechs bist oder hundert,
Sei nicht nur erschreckt, verwundert,
Tobe, zürne, misch dich ein:
Sage nein!

Und wenn aufgeblasene Herren
Dir galant den Weg versperren
Ihre Blicke unter Lallen
Nur in Deinen Ausschnitt fallen.
Wenn sie prahlen von der Alten,
Die sie sich zu Hause halten,
Denn das Weib ist nur ‚was wert
Wie dereinst an Heim und Herd,
Tritt nicht ein in den Verein,
Sage nein!

Und wenn sie in deiner Schule
Plötzlich lästern über Schwule,
Schwarze Kinder spüren lassen,
Wie sie andre Rassen hassen,
Lehrer, anstatt auszusterben,
Deutschland wieder braun verfärben,
Hab dann keine Angst zu schrein:
Sage nein!

Ob als Penner oder Sänger,
Bänker oder Müßiggänger,
Ob als Priester oder Lehrer,
Hausfrau oder Straßenkehrer,
Ob du sechs bist oder hundert,
Sei nicht nur erschreckt, verwundert,
Tobe, zürne, misch dich ein:
Sage nein!

Noch was. Das ist mir heute in Wien passiert. Ich bin mir sicher, ähnliche Szenen wie bei dieser Busfahrt spielen sich natürlich nicht nur in Österreich ab. Es braucht überall, in Schwaben und in Sachsen, in der Steiermark und in Salzburg, wahrscheinlich nur wenige Zutaten: Braune Suppe, dazu ein ausländisch aussehender oder ausländisch sprechender anderer Mensch, und schon kann’s losgehen.